Die PISA-Studie 2022 – Erklärung, Ergebnisse, Reaktionen

Wer sich ein wenig für Bildungspolitik interessiert, oder in letzter Zeit einfach die Nachrichten verfolgt hat, wird an einem Thema nicht vorbeigekommen sein – die PISA-Studie 2022.

In diesem Post werde ich mal eine kleine Zusammenfassung geben dazu, was es damit auf sich hat, und kurz und knapp beleuchten, warum die Ergebnisse eigentlich so verheerend sind. Alles, was ihr wissen müsst in diesem Artikel!

Die PISA-Studie – was ist das eigentlich?

Die „PISA-Studie“ ist eine Studie, die in der Regel alle drei Jahre von der OECD veröffentlicht wird, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dort sind sehr viele westliche Länder Mitglied, insgesamt 38 Staaten.

Vor allem westliche Staaten sind Mitglied in der OECD, wie in der Grafik zu sehen.
Bildquelle: Deutsche Welle

Die OECD beauftragt dann das PISA mit der Durchführung, das „Programme for International Student Assessment“. 1

Und wie funktioniert das?

Im Grunde funktioniert die PISA-Studie so: eine internationale Studienleitung wird von der OECD mit der Durchführung beauftragt. Diese erstellt dann Online-Tests zu drei Bereichen: Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz. In den 88 teilnehmenden Staaten, also den OECD-Ländern und weiteren Partnerstaaten werden dann 15-jährige ausgelost, die die Tests durchführen. Dabei ist das Ziel, dass die Schüler*innen am Ende der Schullaufbahn geprüft werden sollen, zumindest theoretisch. In Deutschland nehmen 9. Klassen teil. Wer ausgelost wird, ist zur Teilnahme verpflichtet.2

 Ganz wichtig ist also! Wenn von einem PISA-Schock die Rede ist,   bezieht sich das immer nur auf die oben genannten drei Testbereiche. Was soziale, kreative oder praktisch-handwerkliche Kompetenzen angeht, wird von der Studie nicht erfasst oder gemessen!

Wie kommen die Ergebnisse zustande?

In der Bewertung der Aufgaben gibt es grundsätzlich eine Skala mit einem Mittelwert von 500 Punkten. Je nachdem, wie viele Punkte die teilnehmenden Schüler*innen erreichen, werden sie dann in „Kompetenzstufen“ eingeteilt, praktisch also in Noten, die zeigen, wie gut die Schüler*innen auf das echte Leben und die Gesellschaft da draußen vorbereitet sind. Die Kompetenzstufen gehen von I (römisch 1) bis VI (römisch sechs). Sogenannte leistungsschwache Schüler*innen liegen unter der Stufe II, leistungsstarke Schülerinnen liegen auf Stufe V oder VI.

Wenn also gesagt wird „30 Prozent sind leistungsschwach“, dann sind das zumindest in Mathe die Teilnehmenden mit Kompetenzstufe I als Ergebnis.

Die Tests an sich bestehen dann aus Fragen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten, freien Antworttexten, oder auch Schiebemenüs. Gezeichnet werden muss also beispielsweise nicht.

Mathe – so abgehängt wie noch nie

Mathematik ist ein wichtiger Bereich der Online-Tests im Rahmen der PISA-Studie
Bildquelle: George Becker (pexels.com)

Schauen wir jetzt mal auf den ersten Testbereich – Mathematik. Als erstes müssen wir betrachten, nach welchen Kriterien der Online-Test durchgeführt wurde.

Was bewertet wird

Für die PISA-Studie 2022 hat sich die Studienleitung neue Konzepte dahingehend überlegt, wie sie die Kompetenzen in Mathe messen will. Zusammengefasst: die mathematischen Aufgaben sollen alltags- und realitätsnah sein, Schule also auf das berufliche Leben vorbereiten. Die OECD beschreibt Mathematik-Kompetenz als…

„…die Fähigkeit einer Person zum mathematischen
Argumentieren
 sowie Mathematik in einer Vielzahl von Alltagskontexten einzusetzen, in denen Problemstellungen mathematisch formuliertbearbeitet und interpretiert werden. (…) Mathematikkompetenz hilft Personen zu erkennen, welche Rolle Mathematik in der Welt spielt, um fundierte Urteile abzugeben sowie gut begründete Entscheidungen zu treffen, so wie sie von konstruktiven, engagierten und reflektierten Bürgerinnen und Bürgern des 21. Jahrhunderts benötigt werden„-OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), 20233

Besonders wichtig ist im Test also die Kompetenz des Mathematischen Argumentierens, so wie oben genannt. Dafür braucht man dann mathematische Kompetenzen (Größen, Zahlensysteme, Abstraktion, Modellieren, Statistik, etc.). All jenes wird im Test abgefragt, so erkennt man, ob im deutschen Schulsystem diese Kompetenzen auch wirksam vermittelt werden.

Was dabei herausgekommen ist

Blickt man auf die deutschen Ergebnisse der Pisa-Studie 2022, muss man feststellen, dass immer weniger Schüler*innen hierzulande diese so wichtigen Fertigkeiten haben. Was uns zu den brisantesten Daten und Fakten bringt:

  • Im Gesamtwert erreichte Deutschland Platz 21 im „Länderranking“, und liegt damit ganz leicht über dem internationalen Durchschnitt.
  • 30% aller Schüler*innen werden als leistungsschwach eingestuft.3 von 10 Schüler*innen könnten also Schwierigkeiten haben, tatsächlich nach der Schule in Beruf und Gesellschaft anzukommen und mit ihren mathematischen Kompetenzen mitzuhalten. Das sind fast eineinhalb mal so viele Schüler*innen wie in der Studie 2018. Nur 8,6% gelten als leistungsstark.
  • Beim Vergleich von Gymnasiast*innen und Nichtgymnasiast*innen liegen die ersteren zirka zwei Kompetenzstufen über der zweiten Gruppe.

Wie kommt der Matheunterricht an?

Das Besondere an der in diesem Jahr herausgekommenen Studie ist, dass nicht nur die Leistungen in Mathe abgefragt wurden, sondern auch die Motivation der Lernenden in dem Fach, die Emotionen, die sie im Unterricht verspüren und die Verhaltensweisen, die sie nach eigenen Aussagen an den Tag legen. Und da sind sehr interessante Ergebnisse herausgekommen:

  • Ein Drittel der befragten Jungen gibt an, Angst davor zu haben, in Mathematik zu versagen. Bei den Mädchen sind es sogar über 52 Prozent.
  • Dagegen sind insgesamt nur 30,4% im Unterricht motiviert dabei, ca. 40% langweilt sich sogar.
  • Angespannt bei den Mathehausaufgaben sind ganze 24,5% der Jungen und 34,6% der Mädchen.

Trotz der negativen Emotionen beim Matheunterricht und der geringen Motivation darf aber eines auf keinen Fall übersehen werden – den Drang der Schüler*innen, neues zu lernen. Denn ganze 91% wollen in Mathematik gute Leistungen erbringen. Und trotzdem ist der Glaube daran, dass dies möglich ist, immer geringer geworden. Die Mehrheit der Befragten gibt an, dass sie mathematische Kompetenz als schwerer veränderbar empfindet als Intelligenz. Somit mangelt es in Deutschland eindeutig an den richtigen Lernmethoden Denn wo jetzt noch Angst vor schlechten Noten herrscht und sich Resignation breit macht müsste eigentlich eine Motivation da sein, die aber eben nur von einer guten Lernatmosphäre, dem Mitnehmen auch der breiten Masse und dem Wegkommen von auswendig zu Lernendem erzeugt werden kann. Das alte Lied von der Bildungswende – in diesen Zahlen eindeutig begründet.

NaWi? Ging schon mal besser

Naturwissenschaftliche Kenntnisse sind essentiell für ein Zurechtkommen in unserer modernen Gesellschaft.
Bildquelle: Pixabay (pexels.com)

Klar ist – Kenntnisse in den Naturwissenschaften sind extrem wichtig. Zu wissen und zu erkennen, wie unser Planet und das Leben auf der Erde funktioniert, ist ein Grundbaustein dessen, was Schüler*innen nach der Schule an Kompetenzen ins spätere Leben mitbringen sollten. Deswegen machen Naturwissenschaften den zweiten großen Bereich der PISA-Tests aus.

Was bewertet wird

In der folgenden Grafik sieht man die Kompetenzen, die im Test abgefragt werden sollen. Zusammengefasst sollen die Schüler*innen also die Welt um sie herum verstehen, indem sie Alltagssituationen im Alltag, die für sie persönlich, aber auch national und global bedeutend sind erklären, untersuchen, und die herausgefundenen Daten analysieren.

Hier sehen wir die Kompetenzen, die das PISA bei der Testung der naturwissenschaftlichen Kompetenzen abfragt.
Bildquelle: „PISA 2022 – Analyse der Bildungsergebnisse in Deutschland“

Was dabei herausgekommen ist

In Deutschland gibt es, was diese Kompetenzen angeht, leider nur mittelmäßige Testergebnisse:

  • Deutschland nimmt im „Länderranking“ Platz 18 ein, und liegt damit nur unwesentlich über dem internationalen Durchschnitt. Es ist das schlechteste Ergebnis überhaupt für das Land.
  • Etwa 23% der Schüler*innen sind leistungsschwach, was Naturwissenschaften angeht. Weniger als 10% können als leistungsstark eingestuft werden.
  • Schüler*innen am Gymnasium sind im Schnitt 1,5 Kompetenzstufen über denen an nichtgymnasialen Schulen.

Zwar sind die naturwissenschaftlichen Ergebnisse nicht so verheerend wie die im Bereich Mathematik, und die Kompetenzen der deutschen Schüler*innen können noch als „anschlussfähig“ im internationalen Vergleich betrachtet werden. Trotzdem fehlen der breiten Masse wichtige Kompetenzen, es muss sich also auch hier dringend etwas am Bildungssystem ändern.

Wie gut können wir lesen?

Die Lesekompetenz ist sehr wichtig - gerade für Jugendliche.
Bildquelle: Pixabay (pexels.com)

Im dritten Testbereich der PISA-Studie geht es um die Lesekompetenz der 15-Jährigen. Nur wer lesen kann, kann wirklich in einer Gesellschaft teilhaben. Und angesichts der neuen Gefahren von Social Media sehen wir, dass ein richtiges Analysieren und Entlarven von Falschinformationen immer wichtiger wird.

Was bewertet wird

Wie in den beiden anderen Bereichen auch, mussten die Schüler*innen in diesem Test Fragen beantworten, hier aber zum Inhalt, zur Art oder zum Wahrheitsgehalt von Texten, die ihnen gegeben wurden. Sie mussten also analysieren, welche Bestandteile der Text hatte, und welche Absichten hinter seinem Verfassen steckt.

Was dabei herausgekommen ist

  • Die Lesekompetenz der deutschen Jugendlichen ist in den letzten Jahrzehnten immer schlechter geworden und erreicht in der jüngsten Studie ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt. International landen wir hier auf Platz 22.
  • Immer mehr Lernende sind „leseschwach“, mittlerweile über 25%, gleichzeitig verfügen auch immer weniger Schüler*innen über eine sehr gute Lesekompetenz (8,2%)

Generell lassen sich diese Werte damit erklären, dass wir in Deutschland in den letzten Jahren viele Zuströme von Geflüchteten aus arabischen oder afrikanischen Ländern hatten. Für diese Jugendliche ist es sehr schwer, gut Deutsch zu lernen. Die Ergebnisse, zusammen mit dieser einen Erklärung dazu, zeigen auf, wie wichtig die Förderung von Lesekompetenz schon von der Grundschule an ist.

Reaktionen auf die PISA-Ergebnisse 2022 für Deutschland

Selten ist es der Fall, dass Bildungspolitik wirklich Schlagzeilen macht. Nach der Veröffentlichung der PISA-Studie ist aber genau dies gelungen. Reaktionen darauf möchte ich nun in diesem letzten Kapitel des Posts zeigen.

Bildungswissenschaft

Wer ganz genau wissen will, wie es um die PISA-Ergebnisse steht, muss eigentlich nicht viel mehr tun als 332 Seiten zu lesen. So lang ist nämlich die „PISA 2022 – Analyse der Bildungsergebnisse in Deutschland“, herausgegeben vom Waxmannverlag. Und dort analysieren namhafte Bildungswissenschaftler*innen in jedem Kapitel die Ergebnisse:

S.83 „Die Ergebnisse von PISA 2022 sollten – ähnlich wie die der ersten PISA-Studie 2000 – zu einer intensiven Diskussion auf Ebene des Bildungssystems führen. (…) Der Blick in einige Nachbarstaaten sollte dabei hilfreich sein.

S.135 Bildung eröffnet Lebenschancen, sie ist der vielversprechendste Weg zu einer umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe. Entsprechend gilt es, ausreichend Bildungsangebote bereitzustellen und ihre Nutzung sicherzustellen. Forschungsergebnisse haben hier wiederholt aufgezeigt, dass sowohl motivationale Faktoren (…) als auch die Unterrichtsqualität (…) die naturwissenschaftliche Kompetenz von Schülerinnen fördern können.

S. 160 In einer erfolgreichen Bildungsgesellschaft muss (…) ein Klima für Hunger nach Bildung, nach Büchern, nach dem Lesen – gerade auch in digitalen Formen – entstehen. (Es) sollte das Buch, ebenso wie das (digitale) Lesen, als wertvollstes Grundbedürfnis geschützt, gepflegt, verbessert und entwickelt werden.„PISA 2022 – Analyse der Bildungsergebnisse in Deutschland“, Kapitel 4-6 (S.83, 135, 160)4

Schüler*innen

Neben vielen anderen Vereinen, Verbänden und Gewerkschaften hat sich auch die oberste Vertretung aller Schüler*innen, die Bundesschülerkonferenz zu Wort gemeldet, vertreten durch ihren Generalsekretär Florian Fabricius:

Am Ende des Tages ist es keine Frage davon, wie meine Generation, wie wir als Schüler abschneiden. Es ist am Ende eine systemische und strukturelle Frage, davon, dass Bildung vernachlässigt wurde und dass wir an allen Ecken und Enden merken, dass Bildung zu kurz kommt, bei Lehrkräftemangel, dem riesigen Investitionsstau oder mentaler Gesundheit. (…) Auch Lehrer leiden unter diesem System.Florian Fabricius, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz in Deutschlandfunk Kultur am 05.12.2023 5

Lehrkräfte

Und auch die Lehrkräfte meldeten sich gleich nach Herauskommen der Studie zu Wort. Für einen Verband sprach Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands:

 „Obwohl die Studie schulische Bildungsziele als Gesamtheit nicht ausreichend abbildet, bestätigt sie doch insgesamt leider negative Trends, die wir seit Jahren beobachten. (…)Es ist wichtig, dass die Politik den Fachunterricht wieder zur Priorität erklärt. Lehrkräfte müssen umgehend und nachhaltig von unterrichtsfernen Aufgaben entlastet werden – sie sind weder Hilfskräfte in der Verwaltung, Sozialarbeiter noch Reiseverkehrskaufleute. Sie sind Fachleute für die Vermittlung ihrer Fächer – die brauchen wir, wie die fachlichen Leistungen unserer Schülerinnen und Schüler in PISA zeigen, heute mehr denn je. (…) Das Beherrschen der deutschen Sprache ist und bleibt die Grundlage unserer Kultur und damit das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts. Wir dürfen es einfach nicht hinnehmen, dass sie von so vielen jungen Menschen in unserem Land nicht ausreichend beherrscht wird.“-Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing in einer Pressemitteilung vom 05.12.6


  1. https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/die-zehn-wichtigsten-ergebnisse-der-pisa-studie/ ↩︎
  2. PISA 2022 – Analyse der Bildungsergebnisse in Deutschland (alle folgenden Daten und Fakten ebenso mit dieser Quelle, Zitatquellen siehe unten) ↩︎
  3. siehe 2. ↩︎
  4. siehe 2. ↩︎
  5. https://www.deutschlandfunkkultur.de/pisa23-so-reagieren-die-schueler-dlf-kultur-3cfc7974-100.html ↩︎
  6. https://www.dphv.de/2023/12/05/aktuelle-pisa-ergebnisse-zeigen-fachunterricht-muss-wieder-prioritaet-erhalten/ ↩︎
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