Wie viel Schule braucht der Mensch?

Kultusministerkonferenz

Schule als Pflicht, Bildung als Recht – wie viel Wissen braucht es, um im Leben erfolgreich zu sein? Und wie kann das deutsche Bildungssystem verbessert werden? Bildungsexperte Prof. Dr. Olaf Köller gibt MADS Antworten

Kinder und Jugendliche in Deutschland haben nicht nur die Pflicht zur Schule zu gehen, sondern auch ein Recht auf Bildung. Das Bundesverfassungsgericht hat dies während der Corona-Pandemie betont und die Bundesländer aufgefordert, den Unterricht trotz Schulschließungen fortzusetzen. Bildung ist deswegen so wichtig, weil sie in unserer Gesellschaft der Zugang ist zu Arbeit, zu Geld und zu lebensnotwendigen Ressourcen.

Bildung als Minimum

Das sogenannte “Bildungsminimum” definiert, was jeder Schüler und jede Schülerin in Deutschland mindestens wissen sollte. Seit 2004 ist bundesweit festgeschrieben, welches Wissen in Mathematik, Deutsch, Englisch und den drei Naturwissenschaften nötig ist, bevor man die Schule verlässt – unabhängig vom Bundesland und Schulabschluss.

Für genauere Antworten habe ich mit Prof. Dr. Olaf Köller gesprochen. Der Psychologe ist Co-Vorsitzender der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz. Zusammen mit 15 weiteren Wissenschaftler*innen berät er die zuständigen Kultusministerinnen und -minister der Länder in Schulfragen. Er erklärt, dass das Bildungsminimum junge Menschen dazu befähigen soll, berufliche Teilhabe zu erreichen und ein selbstständiges Leben zu führen. Dazu gehören auch soziale Kompetenzen, finanzielle Bildung und ein Verständnis für Demokratie. Nur so kann man sich in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zurechtfinden.

Reicht unser Wissensstand aus?

Um zu kontrollieren, wie viel die Schülerinnen wissen, gibt es das „Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen“. Es führt regelmäßig Leistungstests an Schulen durch. Die Ergebnisse sind alarmierend: immer mehr Schülerinnen haben essentielle Kompetenzen nicht erworben. “In Berlin verlassen vier von zehn Schüler*innen ohne ein Bildungsminimum die Schule”, sagt Köller. Das Land der Dichter und Denker schwächelt. International ist Deutschland im Mittelfeld, hinkt aber gerade in Sachen Digitalisierung zurück.

Die Politik hat reagiert und versprochen, den Anteil der Bildungsschwachen zu halbieren. Große Probleme entstehen, wenn aufgrund von geringer Bildung später Schwierigkeiten im Beruf auftreten. “Mehr als die Hälfte der Jugendlichen, die nur den Hauptschulabschluss erreichen, kommen nicht in qualifizierte Ausbildung, sie sind die Modernisierungsverlierer”, warnt Köller. Er fordert, alles daran zu setzen, dass möglichst viele Jugendliche mindestens einen Mittleren Schulabschluss erreichen.

Prof. Dr. Olaf Köller, Bildungsexperte

Die Frage nach dem Zugang zu Bildung

Es ist klar, dass sich etwas ändern muss im deutschen Bildungssystem. Doch wie gelingt das? Köller hat dazu Vorschläge. Zum Einen betont er, dass soziale Ungleichheiten bereits direkt nach der Geburt entstehen. Daher könne eine angemessene Frühförderung schon vor der Grundschule viel ausmachen. „Aktuell erleben wir bei 6-Jährigen einen Leistungsunterschied von drei Jahren.“ Grundlagen wie Lesen und Schreiben müssten in der Grundschule gefestigt und immer wieder kontrolliert und geübt werden.

Professor Köller hält es auch für wichtig, nach Deutschland geflüchtete Kinder richtig zu integrieren, um ihnen gute Startchancen zu ermöglichen. Wer 2015 während der großen Migrationswelle in die 2. Klasse kam, habe, so die Ergebnisse der internationalen PISA-Studie, bis zur 9. Klasse oft nicht hinreichend Deutsch gelernt. Deshalb brauche es mehr Investitionen. Aktuelle Förderprogramme seien schon hilfreich. Für echte Veränderungen bräuchte es aber noch viele Milliarden mehr. Die sind aktuell nicht da.

Es braucht neue Lernmethoden

Noch viel wichtiger als die Länge der Schulzeit ist es, wie der Unterricht gestaltet ist, um uns Jugendliche zum Lernen zu motivieren. Dies erkennt auch Bildungsexperte Köller an: „Ein Unterricht ohne Noten ist möglich. Andere Lernformen als Unterricht mit sechs Stunden á 45 Minuten können ebenfalls sinnvoll sein. So wie sich das Bildungssystem aber jetzt aufstellt, ist es nicht zukunftsfähig.“ Neue und effektivere Lernmethoden zu schaffen, ist noch nicht gelungen.

Derzeit wird viel nach neuen Lernmethoden bzw. „Didaktiken“ geforscht. Die Politik muss die Bildungskrise anerkennen und richtige Schlüsse daraus ziehen. Denn Bildung ist nicht nur die Grundlage für unsere Wirtschaft. Lernen allgemein ist die Grundlage menschlichen Seins.


Titelbild: Collage zusammengestellt von Hendrik Heim auf canva.com mit lizenzfreiem Bild

Bild 1: https://deutsches-schulportal.de/autoren/olaf-koeller/

Facebook Like

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert